Auf den ersten Blick sieht es nach einem „schlechten Tag“ im Grow aus: Die Pflanzen stagnieren, die Blätter wirken kleiner, die Buds locker, Harz glänzt kaum. Was wie eine kleine Schwäche beginnt, wird schnell zum chronischen Abfall von Wuchs und Qualität. Das ist das Markenzeichen des Hop latent viroid (HLVd) – ein winziger RNA-Strang ohne Proteinhülle wie klassische Viren, der dennoch Zeitplan und Ökonomie im Grow komplett durcheinanderbringen kann.
Was unterscheidet HLVd von „normalen“ Krankheitserregern?
HLVd ist ein Viroide – nacktes, zirkuläres RNA. Es produziert keine Proteine, wächst nicht wie Myzel, sondern programmiert die Zelle einfach um, damit sie schlechter arbeitet. Im Grow heißt das: Die Pflanze lebt, „fährt aber nicht mehr“ – langsames Wachstum, zwergige Blätter, lockere, leichte Blüten, weniger Harz und Terpene. Und das Schlimmste: Der Viroide verbreitet sich mechanisch – über Pflanzensaft an Werkzeugen, Handschuhen, Tischen, und im Hydro-System sogar über das Wasser.
Symptome – Wie sieht „Dudding“ in der Praxis aus?
Es gibt kein einziges, eindeutiges Symptom. Stattdessen sind es viele kleine Zeichen, die ein Gesamtbild ergeben:
Vitalität: gebremstes Wachstum, „stockender“ Haupttrieb, kürzere Internodien.
Blätter: kleiner, dünner, manchmal blass oder leicht marmoriert, unregelmäßiger Wuchs.
Blüten:lockerer, weniger kompakt, geringeres Gewicht, spürbar weniger Harz.
Ertrag und Qualität: geringer Massezuwachs, schwacher Duft.
Unregelmäßige Partien: Pflanzen desselben Klons wachsen unterschiedlich, „laufen auseinander“.
Achtung: In der frühen Phase ist HLVd kaum von Düngefehlern (N/Fe/Zn), Hitzestress oder schlechtem pH zu unterscheiden. Ohne RT-qPCR-Test bleibt die Diagnose „nach Augenmaß“ nur eine Vermutung.
Übertragungswege – Wo die Biosicherheit tatsächlich versagt
Scheren, Messer, Bindfäden, Netze, Stäbe, Clips: alles, was frisches Gewebe schneidet oder quetscht.
Handschuhe und Arbeitstische: klebriger Pflanzensaft verteilt sich schneller als man denkt.
Klonen und Arbeit an Mutterpflanzen: ein schwaches Exemplar kann den ganzen Tisch „infizieren“.
Wasser in rezirkulierenden Systemen: Saft oder Gewebefragmente werden mechanisch von Pflanze zu Pflanze bewegt.
Zukauf von Jungpflanzen: Die Pflanzen sehen gesund aus, können aber latent infiziert sein.
Die Rolle von Schädlingen als mechanische Vektoren ist umstritten; klar ist: Wunden und zerquetschtes Gewebe erhöhen das Risiko enorm.
Wirkungsvolle Prävention – „Clean Propagation“-Programm
Der Schlüssel ist nicht das „magische Mittel“, sondern ein systematisches Protokoll. Hier ein Ablauf, der wirklich die meisten Infektionswege schließt:
1) Zonen und Arbeitsrichtung
Einrichtung eines Einbahn-Arbeitsflusses: Mutterpflanzen → Stecklinge → Wachstum → Blüte → Nachernte
Trenne „saubere Vermehrung“ von allen anderen Bereichen (eigene Werkzeuge, Kittel, Handschuhe).
2) Werkzeug-Desinfektion – Dosierung & Kontaktzeit
Etiketten gelten immer; das sind die gängigen Branchenstandards:
Natriumhypochlorit (NaOCl): Arbeitslösung 0,5–1,0% aktives Chlor (z.B. Haushaltsbleiche 5–6% – 1:5 bis 1:10 verdünnt).
Kontaktzeit 1–10 min. Nach dem Bad abspülen & trocknen (Korrosionsgefahr).
Isopropanol/Ethanol 70–80%: schnelles Abwischen der Klingen, mind. 30–60 s feucht.
Peressigsäure + H₂O₂ (PAA-Mischungen):
Dosierung nach Etikett für 80–200 ppm PAA (typ. 0,2–0,3% Konzentrat).
Kontaktzeit 5–10 min; ideal für Werkzeugbäder/Fußbäder.
Quats (QAC):0,1–0,2% für Flächen, 400–800 ppm QAC für Fußbäder, alle 1–2 Tage nachfüllen.
Flamme: Schnelles Abbrennen der Klingen zwischen Pflanzen (Achtung Sicherheit/Materialhärte).
Rhythmus:Eine Pflanze = eine Desinfektion. Praxis: schneiden – bad – abtropfen – weiter; oder 3–4 Scheren im Wechsel.
3) Hände, Handschuhe, Flächen
Handschuhe nach jeder Reihe/Tisch wechseln; zwischendurch mit Alkohol desinfizieren.
Arbeitsflächen mit 70% Alkohol oder PAA nach jedem Block besprühen.
Kittel regelmäßig waschen; ideal: separate Kittel für den Mutterraum.
4) Quarantäne und Testung
Jeder neue Steckling/Mutter:21–28 Tage Quarantäne in eigener Zone + RT-qPCR aus Blatt/Stiel.
Mütter in Produktion:Screening alle 4–6 Wochen (Mischprobe aus 3–5 Blättern pro Pflanze).
Wenn „stille“ Symptome auffallen: eine Pflanze fällt auf? Kennzeichnen, isolieren, testen.
5) Bewässerungsplanung
Kein gemeinsamer Umlauf zwischen den Tischen! Kleine, unabhängige Systeme sind sicherer.
Leitungen mit PAA/H₂O₂ zwischen Zyklen spülen (10–20 min Kontakt), dann mit Wasser nachspülen.
Unterscheidung: HLVd vs. Nährstoffmangel/Stress – schnelle Übersicht
Symptom | HLVd („dudding“) | N/Fe/Zn/pH | Hitze-/Lichtstress |
---|---|---|---|
Wuchs | chronischer Rückgang | bessert sich mit Dünger | sporadisch nach Extremen |
Blätter | klein, dünn, unregelmäßig | typische Chlorose | Nekrosen/Braun an Rändern |
Blüten | locker, leicht, wenig Harz | normal nach EC/pH-Korrektur | „Foxtailing“/Verbrennungen |
Antwort auf Behandlung | keine deutliche Besserung | schnelle Reaktion nach Korrektur | Besserung nach Klimawandel |
Ein Anhaltspunkt – PCR bringt Sicherheit.
Was tun bei HLVd-Befall: 14-Tage-Aktionsplan
Tag 0 – Entdeckung/Verdacht:
Pflanzen kennzeichnen, Klonierung aus diesem Batch stoppen.
Scheren/Handschuhe „nur für diesen Bereich“ umstellen.
RT-qPCR-Test beauftragen (Mischprobe mehrerer Blätter je Pflanze).
Tag 1–2 – Trennung:
Ausräumen von deutlich kranken Exemplaren aus dem Mutterraum.
Problemtische Tische erst am Tagesende bearbeiten, um Saftverteilung zu minimieren.
Tag 3–5 – Tiefenreinigung:
Oberflächen, Werkzeuge, Körbe, Clips: NaOCl 0,5–1,0% (10 min) oder PAA 0,2–0,3% (5–10 min).
Bewässerungsleitungen nach Zyklus: PAA/H₂O₂, 10–20 min Kontakt, dann spülen.
Tag 6–10 – Produktionsentscheidungen:
Nach PCR: Nur „saubere“ Mütter behalten.
Von infizierten Linien keine Stecklinge; blühende Pflanzen fertig machen, aber Arbeit und Tools trennen.
Tag 11–14 – Neustart und feste Regeln:
Personal-/Werkzeug-Fluss umstellen.
„1 Pflanze = 1 Desinfektion“ in der Propagation umsetzen.
PCR-Zyklus aktualisieren (alle 4–6 Wochen).
„Therapie“? Kein Fungizid gegen Viroide – Was wirklich hilft
Aussortieren + Hygiene – auf Growraum-Niveau die einzige schnelle „Behandlung“.
Thermotherapie + Meristem-Kultur (für wertvolle Genetik): 35–38 °C mehrere Wochen in vitro + Meristemschnitt und Regeneration. Speziell, aber so werden wertvolle Linien gerettet.
Neustart Mutterraum: Lieber mit bestätigten, sauberen Meristemen/Klonen neu starten als „flicken“.
Dosierungstabelle – Desinfektion praktisch
Mittel | Wo/Womit | Dosis (gebrauchsfertig) | Kontaktzeit | Hinweise |
---|---|---|---|---|
NaOCl (Chlor) | Klingen, Clips, Tabletts | 0,5–1,0% aktives Cl | 1–10 min | Abspülen, trocknen, korrodiert Metall |
Alkohol 70–80% | Klingen, Flächen punktuell | gebrauchsfertig | 30–60 s, feucht | Schnell, praktisch zwischen Pflanzen |
PAA/H₂O₂ | Flächen, Fußbäder, Leitungen | 0,2–0,3% (~80–200 ppm PAA) | 5–10 min (Leitungen 10–20) | Wenig korrosiv, biofilmtauglich |
QAC | Böden, Matten | 0,1–0,2% / 400–800 ppm | 10 min | regelmäßig nachfüllen, nicht metallgeeignet |
Flamme | Klingen | — | wenige Sekunden | Nur bei Sicherheitsmaßnahmen |
Mutterraum-Programm – HLVd dauerhaft fernhalten
PCR-Indexierung: Start + alle 4–6 Wochen.
Mindestalter der Mütter: Turnus alle 4–6 Monate; alte Mütter = mehr Risiko.
Saubere Backup-Copies: „Genbank“ in separater, sauberer Zone.
Dokumentation: Tischnummer, Schnittdatum, Bediener, Testergebnis – ohne das fehlen die Spuren bei Ausbrüchen.
Fazit
HLVd veranstaltet kein Spektakel – es mindert leise, aber stetig Wuchs, Ertrag und Qualität. Gewinner ist, wer mit System arbeitet, nicht wer auf „Zaubermittel“ setzt. Einbahn-Arbeitsfluss, konsequente Desinfektion mit echten Kontaktzeiten, Quarantäne und regelmäßige PCR-Screenings sind die vier Säulen für einen stabilen Mutterraum und verlässliche Produktion. Und falls das Pathogen doch einschleppt: schnelles Separieren und Neustart sind billiger als monatelanges Dahinvegetieren auf Sparflamme.